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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 01.04.2004:

Naturwissenschaft als Selbstläufer

Mit teutolab sollen Schülerinnen und Schüler den Spaß an Naturwissenschaften entdecken

Die Naturwissenschaften sind seit Jahren das Sorgenkind des deutschen Bildungswesens: Immer weniger Schülerinnen und Schüler belegen in den Schulen naturwissenschaftliche Fächer, die Leistungen sind - wie die PISA-Studie gezeigt hat - im internationalen Vergleich mäßig, und die Studierendenzahlen sinken. Bemerkenswert ist auch, dass es deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Entscheidung für einen naturwissenschaftlichen Studiengang gibt.

Begannen 1990 noch über 6.000 Studentinnen und Studenten einen Diplom-Studiengang Chemie, waren es zehn Jahre später nur noch knapp 4.000 - obwohl inzwischen fünf weitere Bundesländer dazugekommen waren. Insgesamt sank die Zahl der Diplome von über 3.000 im Jahre 1994 auf circa 900 zehn Jahre darauf. Seit zwei Jahren ist zumindest wieder ein leichter Anstieg zu verzeichnen.

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft beklagte auf ihrer Frühjahrstagung am 15. März den Mangel an qualifiziertem Nachwuchs und die Tatsache, dass es den Studierenden, u.a. der Mathematik und der Medizin, immer häufiger an Physikkenntnissen mangele. Für eine Industrienation wie Deutschland, deren Wohlstand auf dem Export hochwertiger Industrieprodukte fußt, sei der Mangel an qualifiziertem Wissenschaftsnachwuchs problematisch, denn der Produktion gehen Forschung und Entwicklung voraus, die von Ingenieuren, Physikern, Chemikern und Biologen geleistet werden. Fehlten diese Berufsgruppen, sei der Wohlstand ebenso gefährdet wie der soziale und ökologische Status des Landes.

Grundschüler kommen an die Universität
Mit dem Projekt Teutolab versuchen Wissenschaftler der Universität Bielefeld, Schülerinnen und Schüler für die eher ungeliebten Fächer Chemie, Physik und Mathematik zu begeistern. Spannende und verblüffende Versuche und Experimente sollen das Interesse der Kinder für die Naturwissenschaften wecken. Dazu werden Schulklassen für einen Tag zum Experimentieren in die Universität eingeladen. "Es hat am Anfang einige Überzeugungskraft gebraucht, um das hier an der Universität durchzusetzen", berichtet Prof. Dr. Katharina Kohse-Höinghaus, die Leiterin von teutolab-Chemie. "Grundschüler schienen nicht an eine Hochschule zu passen."

Die Initiative entsprang einer privaten Erfahrung der Wissenschaftlerin: Nachdem die Mitschüler ihrer Tochter, die damals in die zweite Klasse ging, viele Fragen rund um Physik und Chemie gestellt hatten, organisierte Kohse-Höinghaus einen Chemiekurs mit Experimenten zum Mitmachen für die Klasse. Das "Gastspiel" kam so gut an, dass es die Hochschullehrerin motivierte, solche Kurse für Grundschüler auch als Angebot ihres Fachbereichs Physikalische Chemie anzubieten. Anfang 2.000 startete das Projekt teutolab-Chemie mit Hilfe einer Anschubfinanzierung des nordrhein-westfälischen Landesforschungsministeriums. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter stand Kohse-Höinghaus damals zur Seite.

Kinder vergessen die Zeit
Inzwischen sind zehn studentische Hilfskräfte und fünf Lehrkräfte mit dem Projekt betraut. Während zu Beginn noch Schulen in der Umgebung angeschrieben werden mussten, ist teutolab-Chemie der Professorin zufolge nun zu einem "Selbstläufer" geworden. Die Nachfrage der Schulen übersteigt das Angebot bei weitem - das Projekt ist ständig ausgebucht. "Es gibt Grundschullehrer, die Termine für ihre Erstklässler in zwei, drei Jahren reservieren, wenn sie in die dritte und vierte Klasse gehen werden", erzählt Kohse-Höinghaus. Pro Woche nehmen drei bis fünf Schulklassen an den Experimenten teil, die in eigens dafür eingerichteten Räumen stattfinden. Insgesamt sind jährlich etwa 2500 Kinder in der Universität zu Gast.

Der Erfolg beruht zum Großteil auf dem "Selbstmachen", ist Katharina Kohse-Höinghaus überzeugt. "Die Kinder vergessen die Zeit, sie haben ein intensives Forschererlebnis, behalten Begriffe und haben Spaß - auch Migrantenkinder, in deren Zuhause kein Deutsch gesprochen wird. Dieses Alter, in dem Kinder besonders neugierig sind, ist ideal für die Naturwissenschaften."

Anfängliche Skepsis ist gewichen
Der Erfolg von teutolab-Chemie sprach sich natürlich schnell herum, und die anfängliche Skepsis ist längst gewichen. Das Projekt hat Preise erhalten, die regionale Wirtschaft ist aufmerksam geworden und engagiert sich als Sponsor. Vor kurzem fand eine Fachtagung mit 120 Gästen - auch aus dem Ausland - statt, und inzwischen sind rund 60 ähnliche Projekte an Schulen, Universitäten und anderen Institutionen entstanden. "Das Klima hat sich in den letzten vier Jahren schon sehr gewandelt", resümiert Kohse-Höinghaus.

Auch das Aufgabenfeld hat sich erweitert: Seit Februar 2001 buchen auch weiterführende Schulen die teutolab-Tage. Zusammen mit 22 weiterführenden Schulen der Region hat teutolab ein Netzwerk gegründet. Lehrer dieser Schulen lassen sich durch die teutolab-Universitätsmitarbeiter schulen und geben ihr Wissen dann an die Grundschulen weiter. Als nächstes Projekt steht laut Kohse-Höinghaus der Bereich der Lehrerfortbildung an. Ziel ist es, zur Verbesserung des naturwissenschaftlich-technischen Unterrichts an den Schulen beizutragen. Verbesserungsvorschläge und Empfehlungen sollen anhand folgender Fragestellungen erarbeitet werden:

  • Wie muss der Unterricht gestaltet werden, damit den Schülerinnen und Schülern die anfängliche Freude an den Naturwissenschaften nicht nach und nach genommen wird?
  • Was können sich Lehrkräfte für ihren Schulalltag vom teutolab abgucken?
  • Wie muss man zukünftige Lehrerinnen und Lehrer ausbilden, damit sie ihre Freude an Naturwissenschaften und Technik den Kindern und Jugendlichen vermitteln können?

Mit Hilfe von Fragebögen evaluieren die Wissenschaftler die Vorzüge und Nachteile ihres Programms, um es zu optimieren. Neben Einzelinterviews zu lernpsychologischen und Wissensaspekten, überprüfen die Mitarbeiter die Unterrichtsrichtlinien der 16 Bundesländer auf mögliche Anknüpfungspunkte für das teutolab-Programm. Es ist vorgesehen, die Forschungsergebnisse jeweils in wissenschaftlichen Publikationen und Empfehlungen für den Schulunterricht und die Lehreraus- und -fortbildung zu veröffentlichen.

Erfolg strahlte auf Physik und Mathematik ab
Der Erfolg des teutolab-Chemie stieß auch in den Fachbereichen Physik und Mathematik analoge Projekte an. Das Ziel von teutolab-Physik ist es, Kinder in die Entdeckung und Erfassung von Naturgegenständen und Naturphänomenen durch eigene Beobachtungen und selbst ausgeführte Experimente in ihrer erlebbaren Umwelt einzubeziehen. Seit einem Jahr können Schülerinnen und Schüler von Schulen aus der Umgebung für einen Vormittag in die Universität kommen, um interessante physikalische Experimente selbst durchzuführen. Die Lernmodule wurden so konzipiert, dass die Kinder mit Hilfe von Arbeitsblättern und unter Anleitung von Studierenden die physikalischen Phänomene durch eigenes Experimentieren erkennen und im wörtlichen Sinne "begreifen" können. Das macht laut Dr. Katja Tönsing aus dem teutolab-Team den Reiz für die Kinder und Jugendlichen aus: "Wir können mehr als reine Tafelphysik anbieten." Die Schülerinnen und Schüler erwarten Experimente rund um die Themen Magnetismus, Optik und Sinneswahrnehmungen oder physikalische Zaubertricks.

Gegen die Misere in den Schulen anzugehen, wo oft Lehrkräfte und Ausstattung fehlen, ist laut Tönsing für ein solch begrenztes Projekt nicht möglich. Aber das Ziel, das Interesse der Kinder an den Naturwissenschaften zu wecken, erfüllt teutolab in jedem Fall. "Wir sind völlig ausgebucht", berichtet die Wissenschaftlerin. "Allein durch die Mundpropaganda hat sich unser Angebot herumgesprochen."

Ein Professor und eine Wissenschaftlerin organisieren gemeinsam mit acht Lehramtsstudierenden die Besuche der Schulen an der Universität. Ohne die Unterstützung zahlreicher Sponsoren aus der Region könne man das Projekt dabei nicht aufrechterhalten, so Katja Tönsing. "Solange wir Drittmittel einwerben, machen wir weiter - der Bedarf ist ja da."

Begeisterte Reaktionen und spontane Kinder
Seit dem Frühjahr 2003 befindet sich das teutolab-Mathematik in der Probephase. Die Experimente richten sich an die Jahrgangsstufen vier bis sechs, wobei wegen des begrenzten Raumangebots und der noch recht kleinen Besetzung mit drei studentischen Hilfskräften - betreut von drei Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern - nur in der vorlesungsfreien Zeit Angebote gemacht werden können.

"Durch die intensiven Kontakte unserer Fakultät mit Schulen ist es bisher kein Problem gewesen, auch ohne größere Werbung unsere Termine zu füllen", erläutert Prof. Dr. Wolf-Jürgen Beyn, einer der Leiter von teutolab-Mathematik. Seit Beginn des Projekts sind etwa 20 Klassen zu Gast gewesen und haben sich die "Faszination der Zahlen", den "Raum, in dem wir leben" oder die "Ordnung in der Unordnung" in Gruppen von sechs bis sieben Schülerinnen und Schülern angesehen.

Die Reaktionen unterscheiden sich nicht von denen auf teutolab-Chemie und teutolab-Physik. "Ich bin sehr erfreut", erklärt Beyn. "Wir erhalten begeisterte Reaktionen aus den Schulen und sehen das Projekt selbst sehr positiv." Es sei jetzt auch klar, dass teutolab-Mathematik weitergeführt werde - wobei der Umfang  vom Ausmaß der Förderung abhänge.

Übrigens laufen die teutolab-Mathematik-Kurse ohne Lehrer ab - aus gutem Grund, wie Beyn weiß: "Die Atmosphäre wird sofort anders, wenn der Lehrer dabei ist. Ich hatte einmal die Situation, dass eine Lehrerin ihrer Klasse zuschauen wollte. Sie hat sich nur hinten `reingesetzt, aber das war nicht dasselbe. Wenn die Kinder alleine sind, reagieren sie viel unbefangener und spontaner."

Autor(in): Ralf Schmitt
Kontakt zur Redaktion
Datum: 01.04.2004
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